Weder Schutz noch Respekt.
Eine vorläufige Bilanz der Entsolidarisierung
Teil 1 von 4
Weder Schutz noch Respekt für Sexarbeiter*innen bei Diakonie Deutschland, Deutscher Juristinnenbund und Deutscher Frauenrat.
Zur besseren Übersichtlichkeit eine Chronik der bisherigen Ereignisse:
Ein sexarbeitsfeindliches Netzwerk mahnte mich im Mai 2023 ab. Im Juni verklagte mich ein sexarbeitsfeindlicher Verein auf Unterlassung. Der Verein war bereits an der Abmahnung beteiligt.
Anlass für Abmahnung und Klage sind Inhalte eines Vortrags, den ich am 12.5.23 auf einem Fachtag gehalten habe. Der Inhalt des Vortrags war neben einem historischen Überblick über Sexarbeitsfeindlichkeit und sexarbeitsfeindliche Sondergesetze in Deutschland auch eine Analyse der aktuellen Debatte über Prostitution. Ich nannte verschiedene Argumentationsmuster und Organisationen, die diese verbreiten. Unter Anderem beschäftigte ich mich mit den Begriffen „Zuhälter“-, „Prostitutions“-, „Gender“- und „Trans-Lobby“. Diese Begriffe werden zur Diffamierung von Beratungsstellen, Journalist*innen und Sexarbeitenden eingesetzt, die sich für die Menschen- und Arbeitsrechte von Sexarbeiter*innen einsetzen.
Im Juli verurteilte mich das Landgericht, die Analyse und Herleitung dieser Begriffe in Bezug auf die Klagepartei zu unterlassen.
Im August doxxte mich eine selbsternannte “Prostitutionskritikerin“ auf ihrem Instagram-Kanal, indem sie meinen bürgerlichen Namen mehrfach nannte. Sie beleidigte mich durch holocaustrelativierende Äußerungen.
Am 17.8. habe ich Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Abmahnung und das Urteil habe ich an anderer Stelle thematisiert. Ich bat um Solidarität und (finanzielle) Unterstützung.
Das muss ich wiederholen, denn bisher ist leider kein Ende der Angriffe absehbar.
100 Tage nach dem Vortrag am 12.5.23, der eine Lawine aus Hass und Gewalt gegen mich auslöste, ziehe ich eine vorläufige Bilanz in vier Teilen, und stelle Forderungen an Wohlfahrt, Politik und Zivilgesellschaft.
Teil 1: Die „Initiative Schutz und Respekt für Sexarbeiter*innen“
Teil 2: Die Rolle der Diakonie Deutschland
Teil 3: Mucksmäuschenstill: Deutscher Juristinnenbund und Deutscher Frauenrat
Teil 4: Supportstrukturen in der Zivilgesellschaft für Sexarbeitende?
Teil 1: Die „Initiative Schutz und Respekt für Sexarbeiter*innen“
Der Fachtag „Wo stehen wir nach fast sechs Jahren des Inkrafttretens des Prostituierten-
schutzgesetzes (ProstSchG) und über drei Jahren Pandemie?“ wurde von der Initiative Schutz und Respekt für Sexarbeiter*innen ausgerichtet. Der Initiative gehören unter anderem die Deutsche Diakonie, Deutscher Juristinnenbund (DJB), der Deutsche Frauenrat (DFR) sowie der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und die Deutsche Aidshilfe (DAH) an.
Auf den ersten Blick also durchweg bekannte Organisationen, die für sich ein zugewandtes Verbündet-Sein mit Sexarbeiter*innen in Anspruch nehmen.
Wie verträgt sich ein solches Selbstverständnis mit dem tatsächlichen Verhalten der Initiative angesichts der sexarbeitsfeindlichen Angriffe auf mich? Abgesehen von zwei Ausnahmen (Mitternachtsmission und Evangelische Frauenhilfe in Westfalen) hat die Initiative bis heute nicht Stellung genommen oder mir Unterstützung angeboten.
Der Initiative hätte klar sein müssen: Sexarbeitsfeindliche Gruppierungen fallen seit Monaten durch erhöhte Eskalationsbereitschaft auf. Bereits vor dem Fachtag gab es Berichte über Doxxing, physische Angriffe und Störversuche bei Veranstaltungen.
Was bewog die Initiative trotz dieser Vorfälle Sexarbeitende nicht besser zu schützen?
Kein Schutz am 12.5.23
Am 12.5.23 waren einige Sexarbeits-Gegnerinnen aus unterschiedlichen Strömungen und Gruppierungen anwesend. Sie störten die Veranstaltung durch herabwürdigende und zynische Kommentare. Sie fotografierten anwesende Sexarbeiter*innen, ein Zeichen, dass sie sich auf Fachtag vollkommen sicher fühlten. Sie standen nicht unter besonderer Beobachtung seitens der Gastgeber*innen. Bei der Initiative fehlte also schon vor dem Fachtag ein Bewusstsein über potenzielle Gefährdungen für Sexarbeiter*innen.
Nach dem Fachtag kontaktierte ich die Initiative, um mitzuteilen:
– dass ich mich schutzlos und prekär in meiner Rolle als Referent*in gefühlt hatte
– dass andere Referierende (darunter Teile der Initiative) wiederholt verharmlosend über einen „Meinungsstreit“ sprachen, wenn sie sich auf die sexarbeitsfeindliche Debatte über die Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland bezogen
– dass die Veranstaltung ausgesprochen weiß, heteronormativ und privilegiert besetzt gewesen war und somit sehr viele Perspektiven fehlten.
Eine Reaktion der Initiative blieb zunächst aus. Erst als die Abmahnung in meinen Briefkasten flatterte, erhielt ich endlich eine Rückmeldung.
Das Dilemma der Fachöffentlichkeit
Während Sexarbeiter*innen auf der Veranstaltung in der absoluten Minderheit waren, tummelten sich dort Organisationen mit menschenfeindlichen Positionen.
Angesprochen auf die geringe Anzahl Sexarbeitender unter Publikum und Referierenden erhielt ich diese Antwort:
Der Fachtag hätte sich an eine Fachöffentlichkeit gerichtet.
So eine Haltung hat Konsequenzen. Welche Fachöffentlichkeit kommt ohne diejenigen aus, die Zielgruppe ihrer Arbeit sind?
Mit welcher Begründung der Initiative wird die Expertise Sexarbeitender nicht eingebunden und wertgeschätzt? Hat sich die Initiative so weit von Sexarbeiter*innen entfernt, dass sie sie weder mitdenkt noch ernst nimmt?
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – Ganz normal wenn sie sich gegen Sexarbeitende richtet?
Für eine Antwort auf diese Fragen ist der Kontext der institutionalisierten Wohlfahrt im Beratungs- und Hilfskontext Sexarbeit und die gesellschaftlich tief verankerte Diskriminierung von Sexarbeiter*innen (Sexarbeitsfeindlichkeit) entscheidend. Warum also wird einfach hingenommen, dass sich auf einem Fachtag zu Sexarbeit menschenfeindliche und zutiefst gegen Sexarbeitende eingenommene Organisationen versammeln?
Wohlfahrtsverbände, wie Diakonie Deutschland, Caritas oder Sozialdienst Katholischer Frauen (SkF) unterhalten zahlreiche Einrichtungen oder Projekte für Sexarbeitende. Obwohl diese Einrichtungen oft auf eine lange Geschichte zurückblicken können, gibt es Versäumnisse. Sexarbeitsfeindliche, queer- und transfeindliche und rassistische Weltanschauungen der christlichen Rechten und anderer ultrakonservativer Strömungen sind auch in traditionellen Wohlfahrtsverbänden verbreitet. Solche Denkweisen verschwinden nicht von allein, sondern müssen reflektiert und bewusst abgebaut werden. Das ist bislang vernachlässigt worden!
Seitdem ab 2010 sexarbeitsfeindliche Netzwerke in Deutschland immer lauter und fordernder auftreten, sind viele Träger dem mit Wegschauen und Überheblichkeit begegnet. Ich erinnere mich gut an Aussagen, die vor 8 – 10 Jahren fielen:
„‚Die‘ (religiöse Rechte) müssen wir nicht ernst nehmen.
„‚Die‘ disqualifizieren sich „ganz von allein“ (z.B.: durch wenig fundierte Arbeit
‚Die‘ outen sich „ganz von selbst“ als Fanatiker*innen.“
Auch als immer absehbarer wurde, dass sexarbeitsfeindliche Bewegungen über mächtige Verbündete auf nationaler und europäischer Ebene und große finanzielle Mittel verfügen, nahmen viele Träger das nicht zum Anlass sich abzugrenzen oder kritisch auf die eigene Arbeit zu blicken. In den meisten Trägerverbänden arbeiten keine Sexarbeiter*innen. Die gläserne Decke zwischen Sexarbeitenden und sogenannter Fürsorge blieb also unverändert. So blieb die existierende Sexarbeitsfeindlichkeit oder eine strukturelle Anfälligkeit für antimoderne Ansichten unentdeckt und unwidersprochen.
Auf diesen Wirkmechanismus komme ich auch in den kommenden Folgen immer wieder zurück: Sexarbeitsfeindlichkeit wird (noch) nicht als Pipeline für Radikalisierung oder als Türöffner in rechte und rechtsextreme Themenwelten wahrgenommen.
Sich für Demokratieförderung einsetzende zivilgesellschaftliche Stiftungen und Verbände, haben Leerstellen die Gewalt einzuordnen, die sich spezifisch gegen Sexarbeitende richtet. Hinzu kommen Berührungsängste und die Sorge, sich Konflikten und Debatten stellen zu müssen, sobald das Thema auf die Agenda der eigenen Organisation tritt.
Im Versuch, das Bewusstsein für die Leerstelle Sexarbeitsfeindlichkeit zu fördern, stoße ich übrigens auf die immer gleiche Mischung aus Pseudo-Empathie und Tatenlosigkeit. Manchmal werde ich als Störfaktor empfunden, oft vertröstet und mit kleinen Almosen abgespeist. Ich schildere das, weil mir mittlerweile klar ist, dass es nicht an mir persönlich oder meiner Arbeit liegt. Was ich zu spüren bekomme ist der tabuisierte Umgang mit dem Thema Sexarbeit.
Sexarbeitsfeindliche Organisationen fassten in der Sozialen Arbeit im Kontext seit 2010 Sexarbeit Fuß. Vielleicht waren diese Tendenzen schon immer vorhanden, das ist nie untersucht worden. Sie besetzen heute Schlüsselpositionen in Politischer Bildung, Journalismus, Parteien und Sozialer Arbeit. Sexarbeitsfeindlichkeit findet auch im Lager des bürgerlichen Feminismus eine Echokammer. Bei Themen wie geschlechtliche Selbstbestimmung, Rassismus oder Sexarbeit fordert dieser Feminismus seit jeher strafrechtliche „Lösungen“ und produziert Ausschlüsse.
Wie bereits erwähnt verfügen sexarbeitsfeindliche Netzwerke über ausreichend finanzielle Mittel um moderne, gegen Sexarbeit gerichtete Kampagnen zu schalten. Ein Beispiel dafür ist RotlichtAus. Hinter der attraktiven, auf modern getrimmte Fassade selbsternannter Rettungsvereine, die solche Kampagnen schalten, blickt kaum noch eine Person.
Die Verflechtungen mit der christlichen Rechten und antimodernen, queer- und transfeindlichen Strukturen fallen so nicht oder viel zu spät auf.
Wies ich Träger oder Wohlfahrtsverbände auf diese Bedrohungen hin, wie den SkF 2020, und forderte sie zur Abgrenzung auf, erntete ich häufig Widerstand und böse Blicke.
„Wir wollen nur in Ruhe unsere Arbeit machen, für solche ‚Debatten‘ ist keine Zeit“
in dieser Selbstaussage, die mir immer wieder begegnete, sind zwei wichtige Aspekte enthalten:
Die strukturelle Unterfinanzierung von Anlaufstellen und Projekten für Getroffene von Gewalt und Diskriminierung führt zu Überarbeitung und Überforderung bei den Trägern. Das fördert eine Mentalität des Wegschauens bei Themen, die mit Tabus belegt sind, wie Sexarbeit oder geschlechtliche Selbstbestimmung.
Vielleicht steckt keine böse Absicht dahinter, aber: Parteilich für die eigene Klient*innen ist ein solches Verhalten nicht. An Nicht-Beteiligung, hierarchischen Strukturen und Bevormundung festzuhalten entspricht nicht modernen Definitionen von Sozialer Arbeit.
Falls sich jene Stimmen durchsetzen, die ein Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild fordern, dann ist die Arbeit der Wohlfahrtsverbände bedroht und viele, wenn nicht gar alle Stellen in diesen Projekten und Einrichtungen könnten wegfallen.
Organisationen, wie der Deutsche Frauenrat und der Deutsche Juristinnenbund, die der Initiative Schutz und Respekt für Sexarbeiter*innen angehören, verstärken diese Misere: denn sie vertreten den Standpunkt, dass es sich bei der Debatte um Prostitution um einen ‚feministischen Meinungsstreit‘ handele. So erzeugen sie ein fatales Bild: Statt über Diskriminierung und strukturelle Gewalt gegen Sexarbeitende zu sprechen, wird so getan, als gelte es ein theoretisches Problem zu lösen.
So etwas kann nur behaupten, wer nicht selbst betroffen ist und nicht beabsichtigt konstruktiv in die Debatte einzusteigen. Demzufolge haben sich auch der Deutsche Frauenrat und der Deutsche Juristinnenbund nicht zu den Angriffen gegen mich zu Wort gemeldet.
Es geht „ja nur“ um ein theoretisches Problem…warum also die Aufregung?“
Die Initiative schadet letztlich auch sich selbst, wenn sie Sexarbeitende weder schützt noch respektiert. Gerade jetzt, wenn sexarbeitsfeindliche Strukturen sich mächtig genug fühlen, mich als eine Sexarbeiter*in ganz offen und für alle sichtbar gewaltvoll anzugreifen, ist dieses Gremium in der überwiegenden Mehrheit passiv und still.
Warum nimmt die Initiative die Forderungen von Sexarbeiter*innen nicht ernst und gibt sexarbeitsfeindlichen Stimmen klein bei?
Forderungen:
1. Die Initiative muss die Organisation, Besetzung und Durchführung des Fachtags aufarbeiten.
2. Die Initiative benötigt ein ehrliches und transparentes Profil, wofür sie steht.
3. Die Initiative muss sich zu der Gewalt zu verhalten, mit der sexarbeitsfeindliche Organisationen mich überziehen und mich unterstützen.
Organisationen, wie die Initiative tragen Verantwortung für die heutige isolierte und bedrohte Situation von Sexarbeiter*innen in Deutschland. Sie haben versäumt, die Bedrohung durch sexarbeitsfeindliche Netzwerke zu erkennen und zu bekämpfen. Wie sie jetzt mit mir umgehen, zeigt, wie wenig ihnen an Sexarbeitenden liegt.
Hilf mit, die Initiative an ihre Verantwortung zu erinnern und sende diesen Brief an alle Mitgliedsorganisationen der Initiative „Schutz und Respekt für Sexarbeiter*innen“.
Datei
Im Teil 2 erläutere ich am Beispiel der Diakonie Deutschland konkret, was bislang versäumt wurde und warum die Folgen fatal für die Situation Sexarbeitender sind.
Teil 2: Die Rolle der Diakonie Deutschland