End the end-of-demand-Bullshit.

Welche politische Strategie wahrt die Rechte von Sexarbeiter*innen?

(2019, überarbeitet 2023)

Eine Polemik zu Beschwichtigung und demokratischer Beteiligung von Sexarbeitenden

Am 07.11. fand in der Landesvertretung Hamburg ein Fachtag mit  Bandwurmtitel statt:

„Sexarbeit und Menschenhandel im Spannungsverhältnis zwischen Regulation und Abolitionismus – im Spiegel des ProstSchG und Nordischem Modell.“

Nach der Einberufung des fraktionsübergreifenden Arbeitskreises „Prostitution – wohin?“ von CDU/CSU und der SPD wollte der Fachtag am 07.11.2019 informieren und bot sehr interessante Vorträge, zum Beispiel von Christine Nagl und Susanne Dodillet, die sich beide kritisch mit dem Sexkaufverbot auseinandersetzen.

Auch wenn ich mich in diesem Text kritisch mit dem Zweck solcher Veranstaltungen befasse, möchte ich natürlich trotzdem für die Inputs danken und die guten Absichten würdigen, die mit am Werke waren.

Nach dem Fachtag zu Sexarbeit war ich ziemlich erschöpft und habe mich gefragt, woran das lag?
Einerseits an der Tristesse des praktizierten Sexkaufverbots mit großen Nachteilen für Sexarbeiter*innen in diesen Ländern. Christine Nagl hat sehr anschaulich illustriert, welche schlimmen Folgen End-of-deman in Irland, Schweden, Norwegen und Frankreich für Kolleg*innen hat und wie sehr diese Gesetzgebung dazu instrumentalisiert wird, unliebsame Migration durch Abschiebungen zu bekämpfen. Die Hybris bei der Behauptung, in diesen Fällen läge Menschenhandel vor, zeigt sich an dem Fakt, dass für die Abgeschobenen (in diesem Fall am Beispiel Österreich) keinerlei Opferschutz oder Fürsorge getroffen wird. Die Sorge um die Getroffenen von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung endet an der Grenze. Ein Beispiel zeigte, dass darüberhinaus sogar schädliche Maßnahmen getroffen werden, wie Informationen ins Herunftsland der Sexarbeiter*in zu senden um dort deren „Umerziehung“ zu fördern. Was das in Ländern wie China bedeuten kann, bedarf keiner großen Fantasie. Ich möchte aber gar nicht so sehr berichten, was der Inhalt der Vorträge war. Auf Twitter (@KF_SW_aktivism) habe ich das live so gut es ging dokumentiert. Außerdem werden die Inhalte wohl in den kommenden Wochen online gestellt.

Andererseits ließ sich meine Müdigkeit wohl auf die Dumpfheit zurückführen, die die Einsicht
begleitet, dass die End-of-demand Meinungsmache und kurzsichtigstes politisches Handeln ist. Das geben sogar offizielle Stellen zu: Es geht explizit darum, dass das konsensuelle Anbieten einer sexuellen Dienstleistung nicht moralisch tolerierbar ist. Deutlicher: Prostitution soll moralisch geächtet werden.

Meinungsmache statt Fakten

Fakt ist, dass sich Politiker*innen in den Ländern mit Sexkaufverbot, sich auf einen Wertekanon berufen und mit mit ihrem Tun die Grundrechte freie Berufswahl und Würde, sowie Selbstbestimmung von Sexarbeitenden angreifen. Mich alarmiert, dass die Politiker*innen sich zu den Erfüllungsgehilfen einer wertekonservativen und  heteronormativen Ethik machen, die Sexualdisziplinierung ausübt und nicht-symmetrische Formen von Sexualität diskriminiert.

Nun richtete sich der Fachtag vom 07.11. ja an Politiker*innen, die sich eine Meinung zum Sexkaufverbot bilden wollen/sollen/müssen. Die Faktenlage zum Sexkaufverbot und die schlimmen Angriffe auf die Menschenrechte von Sexarbeitenden (zum Beispiel Kindesentzug, Strafen gegen sog. Profiteure der Sexarbeit, auch Eltern und Kinder) ist eindeutig. Wer nach solchen Vorträgen noch überlegen muss, ob er für oder gegen Kund*innenkriminalisierung in Deutschland ist, erklärt in meinen Augen sein Bankrott in Sachen Menschenrechten. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Dennoch gab es genug Fragen aus dem Auditorium, die tief blicken ließen.
Offen elitäre Äußerungen wie der Ruf nach sozialer Kontrolle, Gentrifizierung sowie eine Ausrichtung auf die gehobene Mittelklasse (möchte man in St. Georg eine Kanzlei eröffnen?) machen klipp und klar, dass die geladenen Politiker*innen nicht aufgrund der Faktenlage entscheiden werden.
Es geht wie in anderen politischen Fragen in unserer Gesellschaft um Machbarkeit, Anpassung und Opportunismus.

Wir Sexarbeitende sind in der Regel nicht Teil der Klientel von Politiker*innen, es gibt nichts zu gewinnen, wenn man sich für „uns“  einsetzt, aber für die Karriere viel zu verlieren. Überhaupt ist es mühsam, abzuwägen und sich zu informieren. Christine Nagl brachte es auf den Punkt: „Es ist einfacher zu regulieren, als zu differenzieren“.

Basisarbeit und Netzwerk für die Verteidigung demokratischer Rechte

Mit ein paar Tagen Abstand haben sich zwei nagende Gefühle bei mir eingestellt: Frustration und große Besorgnis, verbunden mit einer eindringlichen Warnung.

Die Frustration liegt darin begründet, dass ich keinerlei demokratische Beteiligung von Sexarbeitenden ablesen kann. Über unseren Kopf hinweg wurde bereits das ProstSchG verhängt und die Angriffe auf unsere demokratischen Rechte gehen munter weiter. Es ist und bleibt aber die wichtigste politische Forderung unsere demokratischen Rechte zu verteigen: denn:

Sexarbeiter*innenrechte sind Menschenrechte

Fallen solche Rechte, wie  in Deutschland seit 2017unter den Tisch, werden die Folgen davon alle zu spüren bekommen. Wir Huren sind nur neben Migrant*innen die Ersten. Und darauf gilt es immer wieder hinzuweisen.

Das Kalkül der Beschwichtigung

Die Besorgnis beruht auf Folgendem: Solche Veranstaltungen, wie der Fachtag vom 7.11., haben in meinen Augen vor allem einen Zweck: Es geht um Beschwichtigung und um die Illusion von Meinungsbildung und Einbindung in den demokratischen Prozess. Es wird später, übrigens genauso wie beim ProstSchG heißen, es haben doch Gespräche stattgefunden, die Sexarbeitenden sind doch gehört worden. Man habe leider anders entscheiden müssen. Leider, leider.

Deswegen möchte ich aus meiner Sicht davor warnen, die Strategie der Einflussnahme auf Politiker*innen weiter mit großer Priorität zu verfolgen. Sie reicht nicht aus und bindet Energien, die für Basisarbeit und Vernetzung essentiell sind. Es müssen eigene Kanäle aufgebaut werden, eigene Themen angeeignet werden und das Thema des Abbaus demokratischer Rechte und die Gefahr für ALLE darin muss in der Gesellschaft ankommen.

Ich höre immer wieder die unkritische Haltung: „Das sind doch nur einige wenige Politiker*innen, die wirklich für ein Sexkaufverbot sind.“ An solchen Aussagen lässt sich ablesen, dass große Illusionen in die Funktionsweise von Politik in einem ausbeuterischen System herrschen. Die Politiker*innen sind kaum unsere Freund*innen, sie bilden sich weder eine Meinung, noch sind sie in ihren Positionen zu Sexarbeit kohärent, falls sie überhaupt ernsthaft gegen End-of-demand sind. Die Politik bildet die Interessen von wenigen zu Ungunsten vieler ab. Sozialabbau, Rechtsruck und Einsparungen im Bildungs- und Sozialsektor zeichnen ein klares Bild  der politischen Agenda der etablierten politischen Parteien.

An Stelle von Top-Down-Veranstaltungen, die sich an Politiker*innen wenden, müssen die Inhalte von Dodillet und Nagl auf ihre gesamtgesellschaftliche Aussage hin untersucht werden. Solche Inputs müssen in der Zivilgesellschaft ankommen.
Folgende Fragen müssen erörtert werden:

Wem nützt Sexualdisziplin?

Wem nützt ein normativer Moralkonsens?

Wer verliert und wer gewinnt auf kurze und lange Sicht bei solchen Alibiveranstaltungen und Randthemen wie Sexkaufverbot?

Wie kann man den Angriffen auf demokratische Rechte etwas entgegensetzen?