Der „Freitag“ bringt Fehlinformationen
Ende April erscheint im Freitag ein Artikel zur Klage von Sisters e.V. gegen mich. Das ist der dritte, einem ähnlichen Muster folgende Text, nach Veröffentlichungen in der Welt und der Jüdischen Allgemeinen, bei dem auffallend stark Argumente von Sisters wiederholt werden – und ich nicht gefragt werde, meine Sicht zu erläutern. Dem steht bisher nur ein Interview mit mir in ND – Der Tag gegenüber. Den Namen des Freitag – Autoren habe ich noch nie gehört, aber das muss nichts heißen.
Oder doch, denn es bedeutet: Auch er hat seinen Text verfasst, ohne mich vorab zu kontaktieren oder zu konfrontieren.
Das ist in diesem Fall besonders bitter, denn der Text im Freitag vom 24.4.2025 hat gravierende Mängel. Er enthält nämlich grundlegende Fehlinformationen.
Der Autor spricht darin von einen Rechtsstreit zwischen den Vereinen Sisters e.V. und Hydra e.V. Das ist falsch, denn ich, eine Einzelperson, bin die beklagte Person. Ich wurde von Sisters angezeigt, abgemahnt und zunächst im Eilverfahren auf Unterlassung, und aktuell im Hauptsacheverfahren verklagt. Mein Name fällt zwar irgendwann beim Freitag, aber der Autor hat anscheinend bis zum Ende seines Texts nicht begriffen, dass Hydra e.V. im Verfahren keine Rolle spielt. Er übernimmt damit unwissentlich oder bewusst eine Erzählung von Sisters e.V., derzufolge akzeptierende Beratungsstellen Teil der Prostitutionslobby sind.
Ich bin den Text mal für Euch durchgegangen.
Wir gehen rein:
Der Autor vergleicht als Erstes mal Äpfel und Birnen.
Der Verein Hydra hat eine jahrzehntelange Geschichte, und betreibt seit 40 Jahren eine Beratungsstelle für Sexarbeitende in Berlin.
Sisters e.V. ist gerade mal 10 Jahre alt, und im weiteren Umfeld aus dem Appell gegen Prostitution hervorgegangen, den Alice Schwarzer 2013 in der Emma publizierte.
Die Quellen zu meinen Ausführungen findet Ihr auf dem letzten Bild.
Die rhetorische Frage aus dem Titel kenne ich schon aus den o.g. Beiträgen in Welt und Jüdischer Allgemeine. Rhetorische Fragen erlauben eine nur anscheinend offene Frage zu formulieren, um deren Diskussion es aber im Folgenden so gar nicht gehen wird. Denn das Urteil dieses Journalisten ist bereits gefällt. Und es fällt sehr deutlich aus.
Der Vortrag vom 12.5.23, auf den Sisters e.V. mit juristischen Schritten gegen mich reagierte, behandelte das ProstituiertenSchutzGesetz und die Diskriminierungserfahrung Sexarbeitsfeindlichkeit, die Sexarbeitende erleben, weil sie Sexarbeitende sind. In den 25 min des Vortrags ging ich auf Sexarbeitsfeindlichkeit im Wandel der Zeiten ein, natürlich verkürzt, wie sonst in der Kürze der Zeit?
Zum Ende hin formulierte ich einige Punkte über die Debatte zum Thema Sexarbeit und Menschenhandel. Dort äußerte ich als einen Punkt unter mehreren, dass ich Begriffe wie Gender – Lobby, Homo – Lobby und Prostitutionslobby als strukturell antisemitische Verschwörungserzählung einordne. Ich nannte diese Begriffe unter Talking Points und wies so auf den diskursanalytischen Zusammenhang hin. Es ging also um die Argumentationsweise. Das betonte ich zusätzlich in einem Disclaimer, den mehrere Leute später bezeugen sollten, da Sisters etwas anderes behauptete. All das hätte der Autor ja nachfragen können, aber mich erreichte keine Presseanfrage von ihm.
Der Autor entwickelt ein ziemlich krude Storyline. Er fabuliert von zwei Kontrahenten, die „ungleicher“ nicht sein könnten.
Im nächsten Satz wollen sie dann dem Autoren zufolge etwas vordergründig Gleiches, der Autor scheint unentschlossen. Denn: „Beide wollen die Lebensbedingen von Sexarbeiter:innen (…) verbessern.“ Hü oder Hott?
Sind Hydra und Sisters wirklich vergleichbar?
Nein, sind sie nicht. Das Wichtigste in Kürze:
Sisters möchte die Nachfrage nach Sexarbeit kriminalisieren lassen, und damit Sexarbeit ächten. Natürlich wirkt sich eine derartige rechtliche Intervention negativ auf Sexarbeitende aus, wie am Beispiel Schweden sehr anschaulich ist. Dazu gibt es auch Studien.
Wait, verbesserte Lebensbedingungen durch verschlechterte Ausgangsbedingungen und Zunahme von gesellschaftlicher Ächtung?
Entschuldigung, aber daran habe ich erhebliche Zweifel.
Hydra dagegen hat eine umfangreiche Geschichte und wurde vor 40 Jahren das erste Mal durch den Senat Berlin gefördert.
Danach stellt der Freitag – Autor die These auf, dass Lobbyarbeit und Begriffe, wie Prostitutionslobby das Gleiche wären.
Zurück auf die vermeintliche Beziehungsebene zwischen den vermeintlichen Kontrahenten.
Ein Blick auf die tatsächliche Lage, wie sie ist und nicht wie der Freitag Autor sie darstellt, verändert alles:
Statt Verein verklagt Verein: Verein verklagt Einzelperson.
Wie der Autor immer wieder über eine (nicht vorhandene) Beziehungsebene fabuliert, wirkt auf mich unernsthaft, immerhin geht es hier um ein gesellschaftlich relevantes Thema, nicht um die Lindenstraße oder so.
Als nächstes präsentiert der Autor, was er für den Anlass des „Streit“ hält: Das Wort „Lobby“.
Sorry, aber ich kann Euch seine „Argumentation“ nicht ersparen.
Kurz vorab: Es geht nicht um den Begriff „Lobby“ oder „Lobbyarbeit“, sondern um die Aufladung gesellschaftlich vulnerabler Gruppen als machtvolle und bedrohliche „Lobby“. Ich hatte diesen Widerspruch im Blick, wonach eine benachteiligte Gruppe, wie Sexarbeitende, zu einer einflussreichen, mächtigen „Lobby“ und damit zu einem Bedrohungsszenario erklärt werden, als ich den Begriff Prostitutionslobby als Verschwörungserzählung einordnete.
Lassen wir uns nur einen Moment auf die Gleichsetzung von Lobby und – z.B. – Gender – Lobby ein. Will der Autor uns also weismachen, dass der Begriff Gender – Lobby (oder marginalisierte Gruppe XYZ + Lobby), wie es z.B. (extrem) rechte Kräfte verwenden, eigentlich politische „Lobbyarbeit“ für die entsprechende gesellschaftliche Gruppe ist?
Komplett absurd.
In einem Punkt sind der Freitag – Autor und ich uns einig: Antisemitismus wird oft relativiert und bagatellisiert.
Gerade deswegen ist es wichtig, sauber zu arbeiten und ordentlich zu recherchieren, wenn es um dieses Thema geht. Gilt für alle. Fair enough?!
Ich beschäftige mich bereits einige Zeit lang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit, also Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Dazu gehören Rassismus, Antisemitismus, aber auch Ableismus, oder eben Sexarbeitsfeindlichkeit, also die Vorstellung: Sexarbeitende seien ungleichwertig, moralisch verwahrlost oder asozial und müssten gerettet werden.
Besonders untersuche ich, wie sich Ungleichwertigkeitsvorstellungen miteinander verbinden und fließend ineinander übergehen. Bei Sexarbeitsfeindlichkeit ist das insbesondere im Hinblick auf Rassismus und Antisemitismus, aber auch auf Klassismus der Fall.
Um beim Thema Antisemitismus zu bleiben: Zwischen 1880 und 1945 gibt es eine weitverbreitete Verantwortungs-/Schuldzuschreibung an jüdische Menschen: Sie seien für die „Weiße Sklaverei“, wie Menschenhandel um diese Zeit auch bezeichnet wurde, maßgeblich verantwortlich. Dies wird in Titeln von Veröffentlichungen aus dieser Zeit, wie Bordell- Juden oder Juden – Bordelle besonders greifbar, aber auch an einer Vielzahl anderer Beispiele. Esther Sabelus‘ sehr lesenswertes Werk Die weiße Sklavin. Mediale Inszenierungen von Sexualität und Großstadt von 2009 zitiert viele solcher Beispiele aus Film und Literatur. Auch in den Disziplinen der Geschichtswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaften habe ich Belege für solche „antisemitische Diskurskonstellationen“ (Omran) in Verbindung mit Sexarbeit und Menschenhandel gefunden.
In meinem gerade erschienen Buch habe ich diese Belege erfasst und ausgewertet. Das muss nicht jeder*m gefallen, aber es gehört dazu, wenn ein Urteil über meine These gefällt wird.
Allerdings ist das Thema voraussetzungsreich und komplex, und bislang wenig besprochen. Mal eben schnell, ein paar Homepage-Einträge überfliegen und daraus einen Artikel basteln … naja, das geht schief.
Das ist ein bagatellisierender Umgang mit Antisemitismus, wenn gewisse Aspekte antisemitischer Zuschreibungen nicht betrachtet werden und sogar ignoriert werden, finde ich.
Jetzt kommen wir zu einer spannenden Frage, nämlich: Wie kommt der Freitag – Autor an die Fehlinformationen in seinem Text?
Ich habe eine Hypothese: Sisters e.V. versucht in den zwei Jahren ihres Rechtsstreit gegen mich immer wieder Hydra e.V. anzugreifen. Mal geht der Schriftsatz an die Beratungsstelle, mal breitet der Sisters – Anwalt aus, wer seiner Ansicht nach zur Prostitutionslobby gehört (bufaS, BesD, Hydra … usw.), obwohl sich derartige Ausführungen nicht direkt aus der Streitfrage, ist der Begriff Prostitutionslobby eine strukturell antisemitischen Verschwörungserzählung ergeben. Doch sie lassen tief blicken …
Das Austeilen gegen akzeptierende Beratungsstellen ist im Netzwerk von Sisters ein alter Hut, das kommt bereits im Schwarzer-Büchlein von 2013 vor. Die Mär geht so: Akzeptierende Beratung sei Teil des „Systems Prostitution“. Immer wieder klingt durch, die Einstiegsberatung „bringe“ Personen in die „Prostitution“. Für solche Äußerungen führe ich in Warum sie uns hassen viele Beispiele an … und setze mich damit kritisch auseinander.
Wenn der Freitag – Autor diese Unterstellung in seinen Text übernimmt, dann frage ich mich, wo hat er das her? Und stoße auf interessante Parallelen bei Formulierungen vom Sisters – Anwalt (Jonas Jacob, vertrat auch Rona Duwe im Verfahren zur indizierten „Transgender-Kult“- Broschüre, vgl. –> Trans – Lobby) und in den letzten Veröffentlichungen vom Sisters e.V. auf seiner Homepage.
Besonders pikant: Seit der Rechtsstreit für Sisters nicht gut läuft, sind jetzt die Gerichte schuld. Das war noch ganz anders, als der Verein in erster Instanz Recht bekam – allerdings nicht vor einer spezialisierten Pressekammer, wo der Fall nun verhandelt wird. Als das einstweilige Verfügungsverfahren vor dem Kammergericht negativ für Sisters ausging, stellte der Verein einen Befangenheitsantrag und legte Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Richter ein. Dort hieß es, der Richter hätte „Formulierungen“ und Begriffe verwendet, die „stark an Rebeldes Homepage“ erinnerten.
Meinen diese Leute jetzt ernsthaft, dass ein Berliner Richter Teil der Prostitutionslobby ist und von meiner Homepage abschreibt? Wohl kaum …
Was glaubt Ihr:
Wer hat von wem abgeschrieben? Der Richter von mir oder der Freitag – Autor von Sisters?
Wäre es nicht so ernst, es wäre zum Totlachen.
Zum Schluss bewegen wir uns dann vollends im Reich der Unterstellungen.
Der Autor spricht von „Waffenungleichheit“ und unterstellt zwischen den Zeilen, Hydra e.V. führe diesen Prozess mit Steuergeldern.
Da Hydra e.V. diesen Rechtsstreit nicht führt, erledigt sich diese Unterstellung direkt. An dieser Stelle will ich aber kurz erklären, wieso ich überhaupt auf diesen Artikel im Freitag aufmerksam wurde: Ich beobachte natürlich, was sich so tut, bei den Anti-Sexarbeits-Allianzen. In letzter Zeit bin ich mehrfach über Kommentare gestolpert, die unterstellten, ich würde den Rechtsstreit mit Steuergeldern führen. Als sich das häufte, fing ich an, nach dem Ursprung dieser Erzählung zu forschen, und siehe da, hier ist er.
Sisters e.V. hat sowohl das Einstweilige Verfügungsverfahren also auch die erste Instanz im Hauptsacheverfahren verloren und musste die Kosten der Verfahren fast komplett tragen. Wenn hier jemand Geld verbrennt – ich bin es jedenfalls nicht.
Bei Sisters e.V. ist es kein Steuergeld, sondern … Fragt sie selbst, wovon sie ihre rechtlichen Aktionen gegen mich bezahlen.
Natürlich „kostet“ auch mich das Verfahren was. Geld & Nerven, sozusagen. Das SLAPP (Einschüchterungsklage) ist kein Spaziergang und geht schon zwei Jahre. Mir entstehen Verdienstausfall, Reisekosten, ich benötige Beratung und lasse meinen Anwalt Texte, wie diesen durchsehen, etc. etc.
Als Sisters im April veröffentlichte, dass sie bis vor das Verfassungsgericht ziehen wollen, war ich schockiert. Dieses Verfahren und die Abwehr der Angriffe ist mittlerweile Teil meines Lebens geworden. Ganz schön K***e und es wird noch Jahre so weitergehen. Nur habe ich keine echte Wahl, denn schließlich wurde ich abgemahnt, angezeigt und verklagt – nicht umgekehrt.
Klar, ich könnte aufgeben, aber das hätte Konsequenzen, die über mich hinausgehen.
Ich komme zum Schluss.
Eigentlich mache ich gerade Pause zwischen zwei Stationen auf der ersten Etappe meiner Lesereise, aber ich glaube, die Richtigstellung dieser Fehlinformationen sollte nicht länger warten, als unbedingt nötig.
Am Ende ist halt (mal wieder) die Hure das Problem: dem Autoren zufolge verharmlose und relativiere ich Antisemitismus.
Aha. Wie er das wissen kann, frage ich mich. Gefragt hat er mich jedenfalls nicht und mein Buch erschien erst nach der Veröffentlichung dieses Artikels. Auch bei Hydra e.V. gingen keine Fragen zum Rechtsstreit ein.
Geht so solide journalistische Arbeit und ist das ein angemessener Umgang mit ernsten Themen?
Ein großer Teil von Warum sie uns hassen, meinem kürzlich erschienen Buch, beschäftigt sich mit der Rolle des Journalismus in einer verzerrten, inhaltsentleerten Debatte, die wenig berichtet, sondern oft Behauptungen aufstellt. Leider gibt der Freitag hier ein negatives Beispiel ab und eröffnet auf diese Weise meinen neuen Recherche – Blog, den ich von nun an in unregelmäßigen Abständen veröffentlichen werde.
Hydra e.V. prüft indes rechtliche Schritte.
Alle Ausgaben für den Rechtsstreit bestreite ich aus Spenden, die ich selbst einwerbe. Fällt in diesem Zusammenhang Hydra e.V., dann nur aus diesem Grunde:
Die Beratungsstelle Hydra unterhält seit Langem einen spendenfinanzierten Rechtshilfefond, um Sexarbeitende im Fall von Klagen unterstützen zu können. Bei mir ist das aber bisher nicht der Fall, ich habe keinen entsprechenden Antrag gestellt.
Spender*innen können allerdings über den Rechtshilfefond zweckgebunden für diesen Rechtsstreit spenden (Stichwort: Rechtsstreit Ruby). So bezahle ich bisher Sisters‘ rechtliche Eskapaden gegen mich. Hydra stellt dabei lediglich eine Bankverbindung, so dass die Spender*innen eine Spendenquittung über die Zuwendung erhalten können.
Hier geht es zu meiner Spendenkampagne.
Danke an alle, die mich bis hierhin unterstützt haben.