Siamo tutti antifascisti?

Sexarbeiter*innen sind Rassismus, Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Wer ihre Rechte vertritt muss klar Haltung gegen Rassismus und Rechtsextremismus beziehen.
Dazu gehört:

  1. Alle sich für die Rechte von Sexarbeitenden Einsetzenden sollten sich scharf gegen migrationsfeindliche Programme abgrenzen. Viele Sexarbeitende haben Migrations-/Fluchtbiografien und gehören von Diskriminierung getroffenen Gruppen an. Das aktuell gültige ProstituiertenSchutzGesetz beinhaltet allerdings eine Schlechterstellung migrantischer Sexarbeitender, insbesondere aus Drittstaaten. Sexarbeiter*innenrechte sind Menschenrechte. Menschenrechte sind universal und unteilbar.

  2. „Überparteilichkeit“ muss dort enden, wo Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit anfangen.  Es darf keine Normalisierung rechtsextremer Einstellungen geben! Rechtsextreme Positionen richten sich gegen von Diskriminierung getroffene Personen, z.B. queere, trans, rassifizierte, wohnungslose oder behinderte Menschen. Die organisierte Sexarbeitsbewegung muss sich mit jenen verbünden, die Ziel rechtsextremer Gewalt sind.

  3. Dringend benötigt wird Aufklärung zum Thema Rechtsextremismus. Dazu gehören auch Präventionsprogramme gegen Radikalisierung, Verschwörungserzählung und Rechtsextremismus– für Sexarbeitende und Angehörige der Branche.

Vielleicht denkst Du: Das ist doch selbstverständlich?

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs zur deutschen Sexarbeitsbewegung notwendig:
Im Sankt Pauli – Protokoll von 2008 wurde Anti-Rassismus und eine Ausrichtung auf migrantische Kolleg*innen in der Sexarbeit noch groß geschrieben. Dieses Protokoll haben viele Gruppen aus der Bewegung für Sexarbeiter*innrechte unterschrieben. Ob das heute noch so wäre? Ich wünschte es mir sehr, aber:
Seit einiger Zeit gibt es Diskussionen ob die Bewegung migrantische Kolleg*innen oder solche mit Diskriminierungserfahrung ausreichend repräsentiert und vertritt.
Einen Höhepunkt fehlender Reflexion über strukturellen Rassismus stellte die erschreckend ernsthaft geführte Diskussion zwischen 2019 und 2020 über ein „Deutsches Modell“ dar, das vor allem Kolleg*innen mit deutschem Pass legale Sexarbeit ermöglichen soll/sollte. Hinzu kamen fragwürdige politische Allianzen, die Zweifel am Kurs der Sexarbeitsbewegung aufkommen ließen. Als Beispiel könnte jene erzkonservative Politikerin gelten, die mit AbtreibungsgegnerInnen und christlichen FundamentalistInnen auf dem Marsch für das Leben in der ersten Reihe mitläuft und sich nicht vom offen rassistischen Hans-Georg Maaßen abgrenzt. Diese Person wurde in Teilen der Bewegung als wichtige Verbündete betrachtet.
Während die European Sex Workers Rights Alliance (ESWA) Racial Justice und Migrationsgerechtigkeit diskutiert, scheint es der deutschen Bewegung wichtiger zu sein, möglichst anschlussfähig für konservative bis rechtsoffene Politiker*innen zu bleiben.
Kritik an solchen Positionen ist unerwünscht.
Auch aus diesem Grund bin ich seit Langem verbandslos.

Die Vorgeschichte zu diesem Text

Dass auch rechte Rocker Bordelle betreiben und es Verflechtungen einzelner Personen aus der Branche ins rechtsextreme Milieu gibt, ist lange bekannt und vielfach berichtet. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen sowie denen von Kolleg*innen und Expert*innen.
Solche rechtsextremen Strukturen (und andere Missstände) werden als politisches Argument für die Forderung eines generellen Sexarbeitsverbot genutzt. In der Sexarbeit arbeiten sehr viele Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, die keinen oder geringen Zugang zu anderen Jobs haben. Rechtsextreme Einstellungen sind eine reale Bedrohung für Sexarbeitende. 1994 wurde Beate Fischer von Neonazis ermordet. Am 16. März jährt sich der Anschlag von Atlanta zum dritten Mal. Das sind nur zwei Beispiele. Trotzdem ist Rechtsextremismus der deutschen Sexarbeitsbewegung bis jetzt kaum ein Wort wert.
Während gerade in Deutschland Millionen auf die Straße gegen Rechtsextremismus gehen erlebe ich, dass in dieser Branche und Bewegung über die realen Probleme einer immer schon vorhandenen und nun zunehmenden rechten Radikalisierung geschwiegen wird. Begründet wird das mit „überparteilicher“ oder „unpolitischer“ Ausrichtung.

Als vor Kurzem ein Aufruf zur Wahl der AfD aus dem Umfeld der Sexarbeitsbranche auftauchte, habe ich den alarmiert einem überschaubaren, internen Personenkreis als Kampagne eines Verbands weitergeleitet. Dabei habe ich einen weiterführenden Link falsch interpretiert. Darauf wurde ich richtigerweise hingewiesen: Der Verband hatte mit dem Wahlaufruf nichts zu tun. Ich stellte das richtig.
Der zentrale Punkt für mich ist weiterhin:  Ein Wahlaufruf zur AfD muss alarmieren. 

Stattdessen kursiert nun, nach meiner Richtigstellung, ein Schreiben, das behauptet, ich würde lügen, diffamieren und Fake News über den Verband verbreiten.
Entsetzt über den Wahlaufruf zur AfD habe ich vorschnell eine Verbindung falsch gedeutet und das im Anschluss korrigiert.

Was bisher ausbleibt: Über den Wahlaufruf für eine migrationsfeindliche Partei zu sprechen.

Denn der kommt leider nicht überraschend. Nicht erst seit der Coronapandemie mehren sich besorgniserregende Anzeichen der Radikalisierung und Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen unter Sexarbeitenden und weiteren Angehörigen der Branche – wie etwa Portal- oder Bordellbetreibenden. Über die Existenz rechtsextremer Einstellungen sprach ich bereits in einem Interview anlässlich des Internationalen Hurentags 2023 auf der auf Rechtsextremismus spezialisierten Journalismus-Plattform Belltower News. Widerstand gegen rechtsextreme und rechtsoffene Strukturen zu leisten beginnt mit dem Sprechen über sie. Das ist längst überfällig. Es wäre fatal, das politischen Kräften überlassen, die alles daran setzen, ein „Sexkaufverbot“ in Deutschland einzuführen.
Das Interview kam nicht bei allen gut an: manche fühlten sich in die „rechte Ecke“ gestellt und erhebliche Anfeindungen waren die Folge. Schon damals dachte ich:
Wäre das nicht der Moment sich klar gegen rechtsextreme AkteurInnen und Einstellungen abzugrenzen?

In Umfragen zum Abstimmungsverhalten bei der nächsten Bundestagswahl kommt die in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD derzeit verlässlich auf Zustimmungswerte über 20%. Es ist anzunehmen, dass sich diese wachsende Zustimmung auch in der Sexarbeitsbranche abzeichnet. Wieso sollte es dort anders sein?

Während Rechtsextremismus, Verschwörungserzählungen und rechte Radikalisierung unter Sexarbeitenden und Angehörigen der Sexarbeitsbranche zunehmen gerät in der deutschen Sexarbeitsbewegung –  mal wieder – Einiges durcheinander. Nicht meine klare Haltung sollte zum Problem erklärt werden, sondern rechtsextreme Einstellungen und Wahlaufrufe.

Eine Frage in dem aktuell kursierenden Schreiben lautet: Wo will Ruby Rebelde hin? Die Frage ist wichtig und dieser Text ist meine Antwort – auch wenn es nicht um mich geht, sondern um eine rassismusfreiere und diskriminierungssensiblere Sexarbeitsbewegung.

Schlagworte: Rechtsextremismus