Desinformation über Sexarbeit im SWR

SWR: Mal ehrlich: Sex gegen Geld – Gehört das verboten? (5.5.22/22h)

(Teil 2)

Vorab: Mit dieser Analyse verfolge ich die Absicht, Desinformation und Wissenschaftsleugnung, wie sie die Gegner*innen der Sexarbeit benutzen und die leider von den meisten Medien aufgegriffen und damit verbreitet wird, sichtbar und nachvollziehbar zu machen.

Neben der Beschreibung von Techniken und der Untersuchung von Gewichtungen und Formulierungen, geht es mir in einem nächsten Schritt darum, Taktiken zu durchdenken und Empfehlungen zur Änderung des Argumentationsverhalten für Sexarbeiter*innen und ihre Verbündete anzuregen. Damit möchte ich keiner Person zu nahetreten, die mit meinen Schlussfolgerungen nicht einverstanden ist und es geht mir auch explizit nicht darum, hier den Finger in die Wunde derjenigen zu bohren, die bisher gegen die Antis argumentiert haben. Es ist daher keine kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten einzelner Personen, wohl aber mit der allgemeinen Herangehensweise an solche Formate.

Wir erinnern uns, Manfred Paulus machte sich zum Ende der ersten Hälfte zum Anwalt der Ausgebeuteten und erhob den Vorwurf: „Viele, die vom „Rotlichtmilieu“ (sic) sehr, sehr wenig Ahnung haben, diskutieren hier mit rum, und das ist ein Übel.“ Abgesehen von der pathetischen Wortwahl, die an die letzte Predigt denken lässt, benutzt er hier einen Schlüsselbegriff der Desinformation, nämlich das „Rotlichtmilieu“. Dieser Begriff ist leider sehr verbreitet in der heutigen Berichterstattung über Sexarbeit und lässt mehr Leerstellen, als er füllt und das mit absoluter Absicht. Es gibt keine einheitliche Situation sexarbeitender Menschen in Deutschland, ihre Lebensrealitäten sind sehr verschieden und sind wenig erforscht. Der Begriff lässt aber an organisierte Kriminalität denken, und an verrauchte Nachtclubs. Ich erlaube mir an dieser Stelle einen Hinweis auf die sonstige Repräsentation von Sexarbeiter*innen in den Medien, die vor allem als Leiche in Krimis auftauchen und somit ebenfalls in Verbindung mit Verbrechen gebracht werden. Stockfotos (Schuhe, Hinterteile, etc) über skandalisierenden Berichten tun dann zur Manifestation solcher Begriffe wir RLM ihr Übriges.
Paulus schien diese Aussage an Judith Skudelny gerichtet zu haben, denn Moderator Weber will sie einbeziehen. Auf den Zwischenruf von Salome Balthus, die zu Recht auf die Tatsache hinweist, dass Paulus vor fast 20 Jahre aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden ist, benimmt sich Weber wie ein mahnender Kindergärtner und maßregelt Balthus mit erhobenem Zeigefinger. Mansplaining, lupenrein, gepaart mit #PLURV, denn „Er ist immer noch tätig“. Stimmt Herr Weber, und wissen Sie bei was? Bei der hartnäckigen Verbreitung eines Narrativs, dass die Menschenrechte von Sexarbeitenden durch Bevormundung, Unsichtbarmachen, Pathologisierung und Verbote nachhaltig schädigen möchte.

An Skudelny gerichtet formuliert er: „Wenn es diese Sogwirkung nach Deutschland also gibt, machen wir dann mit unserem Gesetz nicht doch was falsch?“ Weber bestätigt hier die Existenz eines solchen „Sogs“ im Sinne von Paulus & Co. Ohne zu hinterfragen: ist das so/wie genau ist es denn? Und ist das „nur“ in der Sexarbeit so, oder betrifft das nicht auch Pflege, Bau, Landwirtschaft? Was ist mit denen, die nicht nach Deutschland kommen, die dem „Sog“ widerstehen? Wie sieht deren Lage aus?
Skudelny greift unerfreulicherweise den Begriff der „Sogwirkung“ auf und argumentiert mit der Kaufkraft der Menschen hierzulande. Leider ungeschickt am Beispiel von Drogen. Einmal über Sexarbeit reden, ohne mit Klischees bombardiert zu werden, das wärs! (Ironie)
Danach macht sie aber wesentliche Punkte, und benennt Abbau von Stigma, fehlenden Opferschutz als wichtige Bausteine, die in ihren Augen in einer differenzierten Debatte fehlen. Außerdem spricht sie als Einzige an, dass Prostitution kein „deutsches“ Problem sei. Bisschen schief, hätte ich anders ausgedrückt, aber immerhin.
Jetzt reden wir über Freier. Beim heutigen 2. Mal Anschauen des Beitrags wird mir klar, dass es ein Skript für diese Sendung gegeben haben muss, oder einen sehr engen Ablaufplan.
Sandra Norak meldet sich zu Wort, scheint dringend, ich bin gespannt, doch zuerst Weber: „Es gibt einen regen Sextourismus in grenznahe Bordelle auf deutscher Seite.“ Eigentlich erwarte ich von einem Moderator des öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass er ethische Grundsätze beherzigt und differenziert. Der Begriff Sextourismus ist ebenso wie Paulus‘ Sexsklaverei populistisch, verzerrt Wirklichkeiten und schürt Vorurteile.

Norak erwähnt ihre Tätowierung (mit der ihr Zuhälter sie gezeichnet hat). Bei der Einblendung, frage mich, wieso nun plötzlich mit Zusatzmaterial gearbeitet wird? Als vorher über Zahlen, Gesetz und andere komplexe Inhalte gesprochen wurde, wurden weder Quelle noch Grafiken eingeblendet. Lange bleibt die schlecht gestochene Tätowierung im Bild. Norak hat entschieden, sich persönlich als Galionsfigur der Freierkriminalisierung zu instrumentalisieren. Mit Einsatz ihres ganzen Körpers, unter Einbeziehung ihrer persönlichen Biografie und aller Stilmitteln, die daraus erwachsen.
Bei allen Äußerungen von Norak und anderer „Überlebender“, wie sie sich selbst bezeichnen, wird stets ehrfürchtig die Luft angehalten. Ihre Worte haben Gewicht.
Würde doch diese ungeteilte Aufmerksamkeit und dieser Respekt doch bitte nur einmal, ein einziges Mal, einer Sexarbeiterin in einer solchen Runde/Talkshow/Podium zu Teil werden. Stattdessen müssen Sexworker die nicht als Opfer „resozialisiert und vorzeigbar“ gemacht wurden mit Othering und Skepsis gegenüber ihrem Expert*innenwissen leben. Sie werden hinterfragt, angegriffen und häufig versuchter Diskreditierung ausgesetzt.
Die Geschichte von Norak zweifelt keine* an, aber deren bewusste und vorsätzliche Inszenierung für das erklärte politische Ziel der gesellschaftlichen Ächtung der Prostitution gehört hinterfragt und gewichtet. Nicht von Weber, soviel ist klar, das hat er bereits bewiesen.
Freier, die Noraks Tätowierung gesehen hätten, hätten nicht reagiert. „Es hat sie nicht interessiert.“
Geschickt und manipulativ kommt Norak so von der eigenen Geschichte auf sog. Freierforen zu sprechen. Den Personen in Freierforen fehle jedes Bewusstsein. Nun folgt Noraks Plädoyer für die Freierkriminalisierung: Sie führt die hohe Nachfrage an), und postuliert eine weitere Zahl: 1,2 Millionen Menschen würden jeden Tag sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, und so viele Frauen, die das freiwillig machten, gäbe es nicht. Sie führt die EU-Richtlinie zu Menschenhandel, das Palermo-Protokoll und den Europarat an. Auch das ist Desinformation, denn außer wohlklingende Titel erfahren wir weder etwas über die Legitimation der Zahlen noch was in den zitierten Texten steht. „Die sagen alle, dass man die Nachfrage angehen muss“ ist das Inhaltlichste, was wir von Norak zu diesem Thema hören. Deutschland würde durch Liberalisierung und Werbung nicht dem Zustand Rechnung tragen, dass die meisten Frauen sich in Not befänden.
Das ist eine Behauptung, keine Tatsache, wird aber nicht als solche kenntlich gemacht.
Weber moderiert nun einen Einspieler an: Freier Karl hätte sich an die Redaktion gewandt und wollte über seine Bedürfnisse sprechen. Weber: „Ich bin zu ihm hin.“ Balthus` Wortmeldung wischt er mit einer ungeduldigen Geste weg. Norak dagegen wollte er unbedingt noch vor dem Einspieler zu Wort kommen lassen. Kleinigkeit, aber erwähnenswert. Wahrscheinlich stand das so im Skript.
Nun also Karl: Er erzählt von seiner Geschichte als Kunde. Findet Worte wie Erholung, Nähe, streicheln. Dann kommt Weber mit seiner Frage: „Können Sie sich vorstellen, dass es Frauen gibt, die darunter leiden, dass sie sich prostituieren?“ Darauf antwortet Karl vage, er habe eine Ahnung davon, dass es diese Zuhälter gäbe. Danach stellt er eine Relation zwischen Zeitdruck und Takt von Kundenkontakt her, und vermutet Zuhälter bei jenen Sexarbeiterinnen, die straffer getaktet sind, in der ich (selbst Sexarbeiterin) viel Raten und kaum Wissen erkenne. 2:30 Minuten ist der Clip lang.

Weber kommt auf Balthus zurück, die den Begriff Freier kritisiert, den Weber selbst übernommen hat. Schnell fällt Weber ihr ins Wort, Julia Wege hat wohl -für ihn- Relevanteres zu sagen. Er kontrastiert freiwillig-unfreiwillig und stellt somit Weges Wort gegen das von Balthus, die (Weber) das „freiwillig mache“. Wege holt aus, nun ist der Moment für anschauliche #Rosinenpickerei gekommen. Zunächst untermauert sie ihre Wissenschaftlichkeit. Sie scheint v.a. zur Gründung einer Beratungsstelle „geforscht“ zu haben, von Expertise zur Sexarbeit höre ich wenig. Da hilft der Hinweis auf die Hochschule wenig. Viele seien in Notlagen. Was erwartet sie bei einer Beratungsstelle? Dass dort die Leute ankommen, die keine Probleme haben? Und interessiert Julia Wege, was und wer die Auslöser für diese Probleme sind? Darüber spricht sie nicht, dafür über das Anschaffen bis zur Geburt und Verzweiflung.
Seltsam, bei @Hydra-Berlin drehen sich viele Beratungsgespräche dieser Tage um Bürokratie, Sozialleistungen und Umstiegswünsche. Wahrscheinlich spielt die Haltung, die eine Beratungsstelle nach außen trägt, doch eine Rolle darin, welche Klient*innen sie in erster Linie aufsuchen. Spannendes Forschungsthema, finde ich. Amalie und Julia Wege jedenfalls haben in den letzten Jahren bei vielen skandalisierenden Beiträgen Hof gehalten und durften ihre politische Agenda für eine Freierkriminalisierung vor einem Millionenpublikum ausbreiten.
Danke Öffentlich-Rechtliches Fernsehen, @ZDF, @3Sat, und SWR, danke für NICHTS.

Wortgemenge, als Balthus nachfragt, wie Wege denn ihre Schlussfolgerungen auf alle Sexarbeitende begründet. Wege versucht es wieder mit „Wissenschaftlichkeit“, sie schreibt ihre Promotion über dieses Thema und beschäftigt sich „vielleicht schon ein paar Jahre länger“ als Balthus mit dem Thema. Für mich ist das keine Begründung, und eine anders positionierte weitere Wissenschaftlerin in der Runde hätte die Befangenheit von Wege sicherlich auch nachgewiesen. Doch dem SWR geht es nicht um Ausgewogenheit, wie die Zusammensetzung der Runde eindrücklich zeigt.
Webers Respektlosigkeit gegenüber Balthus Zwischenrufen belegen erneut seine wertende, abschätzige Haltung.
Egal, wie mensch Salome Balthus gegenüber eingestellt ist, hier wird ihr übelst mitgespielt von jenem Moderator, der gezielt Rosinen pickt und Zahlen so nutzt, dass es der von ihm präferierten Sichtweise nutzt. Er sagt wirklich: „geschätzt 4-800.000 Frauen“, und verrät damit, wes‘ Geistes Kind er ist.
Das wäre der Punkt gewesen, an dem Balthus hätte auftstehen und gehen können, denn hier wird keine Person etwas ausrichten, hier wird gezielt Desinformation betrieben.
Webers Körpersprache Balthus gegenüber spricht Bände: aggressiv, drohend, zeigt er auf Balthus oder wendet ihr gezielt den Rücken zu. Der personifizierte Hurenhass des bürgerlichen, cis-hetero-normativen Südwesten der Republik.
John Heer bittet ums Wort: Er konstatiert, dass Zahlen nach oben gerechnet werden und weist Weber selbst das nach. 40.400 Personen waren 2019 nach ProstSchG angemeldet. Heer erzählt aus seinem Alltag als Bordellbetreibender in Stuttgart, beschreibt unangekündigte Kontrollen des Fachdiensts und der Steuerfahndung und fragt, ob es denn wirklich der Fall sein könne, dass Betreibende, wie Breimayer unterstellt, systematisch Sexarbeiter*innen ohne Hurenpass bei sich arbeiten ließen.
Heer argumentiert weiter, dass es in Deutschland die Regel sei, die offiziellen Zahlen nicht gelten zu lassen, wie jene vom Statistischen Bundesamts aus 2019. Er führt einen Beitrag der Deutschen Welle an, in dem von 40.000 Sexarbeiter*innen in Frankreich, die Rede ist:

https://www.dw.com/de/frankreich-das-aufbegehren-der-sexarbeiterinnen/a-57230424

Heer wird unterbrochen, hier gibt es ein kurzes Wortgefecht zwischen Balthus, Weber und Heer, das schön illustriert, wie problematisch die Zahlen rund um Prostitution sind, und wie sehr diese im Diskurs missbraucht werden, auch von Figuren wie Weber.
Weber wittert nun Morgenluft: Heer soll nun übers Paradise befragt werden, diesem „vermeintlich sauberen Haus“. Dieses „vermeintlich (sicher)“ hat Weber schon mal in der ersten Frage an John Heer einfließen lassen, ein schönes Beispiel, wie die zentralen Schlagworte immer wieder auftauchen. So werden Narrative und Framings konstruiert. So funktioniert Desinformation.

Im nächsten Einspieler berichtet Jens Rabe, Anwalt im Paradise Prozess, 45 Sekunden lang von Zeuginnenaussagen über Misshandlungen, und schließt mit den Worten: „Es sollte mehr solche Prozesse geben, denn die Taten der Zuhälter gibt es.“
Keine Sexarbeiterin würde dieser Aussage widersprechen. Natürlich müssen Straftaten geahndet werden.

Die Funktion solcher Clips in einer Talkshow wie „Mal ehrlich“ muss benannt werden: 2140 legale Prostitutionsstätten gibt es in Deutschland, in denen solche Verbrechen sind nicht der Standard sind. Doch die Realität in vielen Bordellen, die nach Kaffee, Duschgel und Langeweile beim Warten auf Kunden riecht, lässt sich nicht so schön skandalisieren. Und bleibt daher unerwähnt.
Ich bin dafür offen über Missstände zu sprechen, aber solange Sexarbeitende von Verbotspolitiken wie Freierkriminalisierung bedroht werden, kreist die Debatte nur um die extremen Positionen, die medienwirksam polemisieren und polarisieren lassen. Formate, wie dieses, nützen sicher nicht den Sexarbeitenden, zu deren Retter*innen sie sich aufschwingen.

Als Heer den Einspieler mit Rabe kommentieren will und sagt, dass diese Straftaten schlimm sind und sich die Branche davon distanziere, lacht Breimayer im Hintergrund verächtlich. Hier kommen kein mahnender Zeigefinger oder drohend gebleckte Zähne des Moderatoren zum Einsatz. Weber lässt sie gewähren. Heer spricht kurz die Razzia im Artemis 2016 an, die er „als Blamage für den Berliner Senat“ beschreibt, weil er völlig ohne Ergebnis 900 Beamte in diesen Einsatz schickte.

Weber möchte „gern einen Haken an diese Zahlendiskussion machen“. Nun darf Breimayer mit der Fragestellung „Was würde das an der Gesellschaft oder an unserem Umgang mit dem Thema Prostitution, mit dem Thema Frauen und Sexualität, ändern?“ über die Freierkriminalisierung sprechen
Sie tönt: „Wir brauchen eine andere Haltung zum Thema. (…) Es geht um Menschenrechte. (…)“
Die Menschenrechte von Sexarbeitenden, die nicht in Breimayers voreingenommene Sichtweise passen, nicht Opfer genug sind, die sind ihr jedoch gleichgültig und Schweden, das Weber in seiner Überleitung als Beispiel anführte, belegt genau diesen Umstand. Doch davon darf in einem Format wie diesem natürlich nicht gesprochen werden.

Massives Framing, wie die infratest dimap Umfrage „Soll Prostitution in Deutschland verboten werden?“ genau zwischen zwei Wortmeldungen von Norak und Breimayer eingeblendet wird, die beide von „Haltung“ sprechen: Das Ergebnis dieser Umfrage 77% lehnen in dieser Umfrage ein Verbot der Prostitution ab, nur 14% befürworten es. Die Haltung des SWR und von Weber ist längst klar, da dieses Ergebnis nicht gefällt, wird moralisiert, was das Zeug hält. Wie ein Schuljunge steht Weber vor Norak und fragt sie: „War das (Ergebnis) erwartbar?“. Er fragt sie nicht, „was sagt das aus?“
Norak redet nicht über die Umfrage, sondern über die Freierkriminalisierung, deren Durchsetzung in Deutschland sie sich verschrieben hat. Auf die Frage, „sollte Prostitution verboten werden?“, zu antworten, dass die Gesellschaft über die Freierkriminalisierung nicht ausreichend informiert wäre, ist hanebüchen.
Ein Beispiel: Auf die Frage „Sollen wir Alkoholkonsum verbieten?“ mit: „Die Gesellschaft ist über die Prohibition nur nicht ausreichend aufgeklärt.“ Zu beantworten, würde kein Moderator dieser Welt durchgehen lassen. Hier geschieht es, ohne Einwand des Gastgebers Florian Weber.

In den letzten Minuten dreht sich die Debatte schwindelerregend im Kreis: Norak fordert von Heer, dass er Verantwortung für Missstände außerhalb seiner Betriebe übernehmen soll. Das kann er nicht, und wie soll er schon gut antworten auf Noraks Frontalangriff auf seine Kandidatur als Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart? Norak geht geschickt vor als sie ihm zugesteht, dass sie ihm ja glaube, dass es in seinem Betrieb sauber zuginge, aber fluggs, wird das als Ausnahme markiert. Norak muss Heer nichts glauben, denn es geht hier nicht um Einzelschicksale sondern um Sexarbeitspolitiken, die sich auf alle Menschen in der Prostitution auswirken. Dazu kann weder Norak, noch Heer etwas Konstruktives sagen, fürchte ich. Statt jetzt kleinschrittig auf, wer sagt was einzugehen, möchte ich lieber was zur Unsinnigkeit der Debatte anmerken:
Als Betreibender hat Heer und viele andere Inhaber von Prostitutionsstätten eine ganz andere Agenda als Sexarbeitende. Bei Kandidaturen oder bei Versuchen von Lobbyarbeit, sowie bei den Öffnungsforderungen in 2020 zeigt sich: Den Betreibenden geht es nicht darum, zu fragen, woher kommen Sexarbeitende, wieso gehen sie der Sexarbeit nach? Selbst die Frage nach der Dunkelziffer interessiert sie nur mittelbar, denn in ihren Betrieben dürfen ohnehin nur die 40400 registrierten Sexarbeitende arbeiten. Sie haben wirtschaftliche Interessen zu verwalten, hier geht es um Steuerlasten, Auflagen und Konzessionen. Der Anti-Sexarbeits-Bewegung ging es nie um den realen Zustand der Sexarbeit, sondern um die Verbreitung ihrer manipulierten, skandalisierten Opfer-Realität, die agitieren möchte, Sexkauverbote zu erlassen. Sie wollen verteufeln und eine  Symptomkur durchsetzen. Dazu bedient sich diese Bewegung skandalisierter Zustandsbeschreibungen, zugespitzt, ohne Quellen und unwissenschaftlich

Kurz vor Schluss antwortet Julia Wege auf die Frage Webers: „Kann es eine saubere Prostitution geben?“ mit Nein.

Vorher musste sie die 90% Opfer von „Zwangsprostitution“ die von Breimayer und Norak immer bemüht wird, auf 60-90% datieren. Auch 60% sind eine voreingenommene Schätzung, aber ich möchte das trotzdem erwähnen. Skudelny: „Die Frage hätte eine andere sein müssen. (…) Dient das „Nordische Modell“ dazu Frauen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen? Das wäre die entscheidende Frage für den heutigen Tag gewesen.“ Weber, etwas in Bedrängnis: „Welche konkrete Antwort haben Sie?“ Die Antwort hört er sich nicht an, sondern fällt ihr ins Wort, als sie Beratung und Ausstieg, sowie Ausleuchtung des Dunkelfelds benennt (sag doch Umstieg, und lass die hell-dunkel Metapher weg, Judith ?): Weber: „Wieso passiert das nicht längst?“ Skudelny: „Indem wir viel mehr solche Sendungen machen.“
Dazu abschließend ein paar Gedanken:
Mehr solche Sendungen wie diese? Bitte nicht.

Hier die blanken Zahlen:
Die Redeanteile (nicht mit der Stoppuhr genommen) waren so verteilt:
Sandra Norak hat den mit Abstand größten Anteil an der Sendezeit von 60 Minuten (ca. 12 Minuten / 20%), Salome Balthus kommt auf ca. 7,5 Minuten, das sind ca. 13%, Judith Skudelny kommt wie Julia Wege und Manfred Paulus auf ca. 4,5 Minuten, also ca. 8%, John Heer musste sich mit 3 Minuten begnügen, das sind 5%, Breimayer liegt bei 4 Minuten, das entspricht etwas über 6%, der Rest der Zeit geht an die 4 Einspieler (Balthus/Karl/Rabe/Umfrage) und Florian Weber.
Insgesamt dürfen die Gästinnen in dieser Talkshow ca. 68% der Zeit selbst sprechen. Davon entfallen 42% auf die Befürworter*innen der Freierkriminalisierung, die ja nicht über Sexarbeit sprechen, sondern ihr Narrativ pflegen, und nur 26% auf Personen, die keine Freierkriminaliserung wollen.

Sie durften in dieser Sendung nicht über ihre Lebensrealitäten sprechen, weder der Bordellbetreibende, noch die Sexarbeiterin, noch die Politikerin, sondern wurden nur in Bezug auf die Behauptung der mehrheitlich verbrecherischen Realität von Prostituierten hin befragt, die die Antis aufgestellt haben.
Wieso der SWR den Titel „Sex gegen Geld – gehört das verboten?“ wählte, bleibt sein Geheimnis. Besser gepasst hätte: Florian Weber moderiert die bunte Gala für die Freierkriminalisierung.

In aller Deutlichkeit kritisiere ich die verheerende Desinformation, die Weber in der Sendung selbst ausgeübt und zugelassen hat. Es ist #falseBalance, und sollte der Versuch erfolgen, diese Sendung als ausgewogen zu bezeichnen, sollte dem Sender und seinem Moderatorenblondi die Schamesröte ins Gesicht steigen.
Gemeinsam mit Pseudo-Expert*innen setze ich mich nicht mehr in Diskussionsrunden, denn gegen ihre Logikfehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungserzählungen – kurz #PLURV – erscheint die Realität immer farblos.
Mehr zu #PLURV und Sexarbeit könnt Ihr hier lesen:

https://mademoiselleruby.com/2021/04/01/plurv/

In einem solchen Format sollte sich sexarbeitende Protagonist*innen, wenn überhaupt, damit auseinander gesetzt werden, Desinformation und #PLURV gezielt sichtbar zu machen. Unaufgeregt, logisch, wissenschaftlich. Daher ist der Boykott solcher Formate ein Weg, die Medien zu einem anderen, respektvolleren und weniger wissenschaftsleugnenden Umgang mit dem Thema Sexarbeit zu bewegen, indem wir Sexarbeitende sie gezielt auf dem Trockenen sitzen lassen und sich nicht beteiligen.
Mehr dazu in Kürze.