Ruby liegt auf einer Kissen und ist nackt.

Schutz der Allgemeinheit
oder
Schutz für Sexarbeitende?

Wer hier ab und an mitliest weiß, dass die letzten zwei, drei Jahre alles andere als einfach für mich und meine Tätigkeit als Sexarbeiterin waren.
Seit 2020 leide ich an Long Covid,  meine Kraft und Leistungsfähigkeit ändert sich permanent. Was heißt das eigentlich, an Long Covid zu erkranken? Das ist sehr individuell. In meinem Fall bedeutet es Kreislaufprobleme, Druck auf den Ohren, Schwindel, Halsschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und geminderte Leistungsfähigkeit. Meine Leistungsfähigkeit beträgt aktuell ca. 50% meiner Leistungsfähigkeit von 2020, und das einzusehen ist gar nicht mal so leicht.

Vor 2020 war ich sehr fit, 2019 war ich mehr als 200 Tage unterwegs, nicht nur in Sachen Sexarbeit, sondern auch für Vorträge, Workshops und Konferenzen. Und habe nebenbei meinen anspruchsvollen Alltag jongliert. Heute schaffe ich manchmal meinen Alltag kaum, geschweige denn zu arbeiten.

Aufhören möchte ich nicht

Ich mag, was ich tue, den Kontakt mit den Kund*innen, das Unterwegs-Sein. Aber derzeit wähle ich jetzt noch sorgfältiger aus, mit wem ich zusammen kooperiere und wo ich mich einmiete. Ich schätze meine Selbständigkeit und nehme die wörtlich als Emanzipation von Strukturen, die ich als gewaltvoll erlebe.
Wenn ein Studio keine fairen, modernen Arbeitsbedingungen bietet, dann möchte ich dort nicht (mehr) arbeiten.
Ist sich ein Studiobetreibender nicht darüber im Klaren, dass wir ein Mietverhältnis auf Augenhöhe unterhalten, dann endet diese Zusammen-Arbeit.
Ist ein Portal unfreundlich, diskriminierend oder respektlos, dann war’s das mit bezahlter Werbung dort.

Im Jahr 2023 ist es maximal Zeit, dass ausbeuterische Bedingungen in der Sexarbeit klar benannt werden. Dieses Jahr wird das ProstituiertenSchutzGesetz von 2017 evaluiert. Derzeit kreist die dazugehörige Debatte hauptsächlich um die Kund*innen sexueller Dienstleistungen und um die Frage, ob Sexarbeit | Prostitution verboten gehöre. Es geht in der Debatte häufiger um den Schutz der Allgemeinheit vor den Sexarbeiter*innen und weist uns somit den Status einer potentiellen Bedrohung, sicher aber einer Störung zu. Zu kurz kommt der Schutz von Sexarbeiter*innen. Während es marginalisierten Gruppen  in anderen gesellschaftlichen Feldern während der letzten 40 Jahre gelang Rechte zu erstreiten, verzeichnet der Kampf von Sexarbeiter*innen um Rechte und Entstigmatisierung bereits sehr viel länger Stillstand. Stillstand.

Viel zu sehr hängen wir deswegen von einigermaßen guten Voraussetzungen ab, die noch viel zu häufig mit dem guten Willen und Verantwortungsbewusstsein einzelner Betreiber*innen steht und fällt: Denn Sexarbeit unter guten Voraussetzungen ist bereits ein konstanter Aushandlungsprozess in dem durch Kommunikation Grenzen formuliert werden, die dann -hoffentlich- alle Seiten einhalten.

Worüber nicht gesprochen wird

Über zu hohe Mieten und Werbekosten sowie strukturelle Stigmatisierungen, denen wir Sexarbeitende ausgesetzt sind wird nicht gesprochen. Die Abhängigkeit von Bordellen, Studios oder Puffs, Portalen oder Sperrbezirken sollte begrenzt werden. Das wäre ein echter, ernstzunehmender Schutz.
Schon jetzt arbeiten viele Kolleg*innen unabhängig von den Prostitutionsstätten. Mehr als einmal reagierten Betreibende darauf mit fiesen Briefen und Denunzierungen an Ordnungsbehörden. Die Botschaft dabei: „Wir sind die Guten“ –  die „Bösen Illegalisierten“ übervorteilen uns, indem sie in Hotels oder Appartments ausweichen oder straßenbasiert arbeiten.  Betreibende scheinen zu denken, dass ihnen so Einnahmen entgehen, die ihnen zustehen. Nachdenken darüber, ob die Arbeitsbedingungen vielleicht eine Rolle spielen könnten, die Kolleg*innen von diesen  Betrieben fernhalten? Meist Fehlanzeige.

Ist es eine allgemeine Erkenntnis unter Betreibenden, dass Sexarbeitende genau genommen ihre Kund*innen (Mieter*innen) sind und somit respektvoll und entgegenkommend behandelt werden sollten? Nein.
Vielmehr herrscht die Einstellung vor: Die (Sexarbeiter*innen) sind ja auf mich angewiesen.

Das führt zu einer Arbeitsrealität aus Leistungsdruck, Abwertung, manchmal mit ausbeuterischen Zügen. Dann fällt oft der Satz „Bei mir ist es doch besser, als anderswo“, der zu der Schlussfolgerung führt, nichts in Sachen Kund*innenfreundlichkeit zu ändern.
Guess what?
Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind viel zu oft noch mehr als schlecht. Was wir brauchen sind kollegiale Netzwerke, faire Mieten und Kooperationen auf Augenhöhe.

Was problematisch ist

– Bevormundung und Leistungsdruck: Als Selbständige entscheide ich selbst, ob ich krank oder gesund bin, oder wann ich wieviel arbeite. Eine Erwartungshaltung, die besagt, wenn Du bei mir arbeitest, dann muss so und so viel dabei für mich herumkommen – ohne Rücksicht auf Verluste – das ist Ausbeutung und sowas von 1950.

– Pauschale Mieten sollten bald mal der Vergangenheit angehören.
Sogenannte Tagesmieten sind oft problematisch, weil sie das unternehmerische Risiko gänzlich auf Sexarbeitende abwälzen. Klar, Bordellbetrieben werden oft viel zu hohe Mieten abgeknöpft und das erhöht den Druck auf die Betreibenden sehr. Deswegen müssen faire Mieten für Sexarbeitende auch Hand in Hand damit gehen, Wuchermieten für Prostitutionsbetrieben einen Riegel vorzuschieben.
Eine Gleichbehandlung von Bordellen mit anderen Gewerben ist überfällig. Eine Lösung für Städte wie München, in denen Tagesmieten seit Langem üblich sind, wäre z.B. eine kostenfreie Stornierungsmöglichkeit, falls die Sexarbeiter*in erkrankt.
Derzeit fällt die Miete an, egal ob Einnahmen dagegen stehen, oder nicht.
Es gibt den Fall, dass es keine Nachfrage gibt. Dann ist eine Tagesmiete, die oft zwischen 150 und 250 € betragen kann, ein echter Super-GAU.

Schutz hieße in diesem Fall dass keine Einnahmen bedeuten keine Miete aufbringen zu müssen.

Ich habe bei solchen Vorschlägen oft, zu oft, die Entgegnung gehört: „Aber meine Kosten habe ich trotzdem und auf denen bleibe ich jetzt sitzen.“ Sorry, aber das geht Sexarbeitenden genau so, fragt nur keine*r nach.
Betreibende verdienen ebenfalls nichts, wenn keine Sexarbeiter*in ihrem Betrieb anwesend ist. Es ist sogar so, dass ohne Sexarbeitende der Zweck des Betriebes komplett in Frage steht. Betriebe sind also auf uns angewiesen. Sie können noch so schöne Räume haben, wenn dort keine Dienstleistung angeboten wird, holen sich wohl die wenigsten auf das reine Vorhandensein des Bordells einen runter.

Ein Bordell ohne Sexarbeiter*in ist nur ein meist hässlich möblierter Raum

Gedeckelte Mieten sind definitiv derzeit best practice. Das gibt es schon in manchen Betrieben. Das bedeutet, die maximale Mietzahlung an dem Tag der Einmietung ist von vorneherein nach oben begrenzt.
Was ist noch schlimmer als kein Mietendeckel? Kein Mietendeckel und lange Gesichter, wenn ich nach 3-4h aufhöre, entweder weil meine Kraft aufgebraucht ist oder weil ich nicht einsehe, Hunderte von Euros Miete an Betreibende zu zahlen. Selbständige Sexarbeitende zu behandeln wie Angestellte ist ein NoGo.
Die Geschäftsmodelle von Sexarbeiter*innen und Bordellbetreibenden unterscheiden sich erheblich.
Das Geschäftsmodell von einem Bordellbetrieb sind tägliche Einnahmen. Viele Sexarbeiter*innen und ich gehöre dazu, arbeiten nicht jeden Tag, sondern versuchen effizient Tage mit Sexarbeit und Tage mit anderen Tätigkeiten zu verbinden. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe.
Aber wer so denkt, dass Sexarbeitende sich per se am unternehmerischen Risiko eines Bordellbetriebs beteiligen müsste, sollte wirklich mal in sich gehen, da ist ein Update überfällig.

An die Kund*innen

Auch Ihr könnt mithelfen, die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern. Einerseits hilft es, wenn Ihr flexibel und verlässlich agiert, was den Ort des Treffens anbelangt. Andererseits könnt Ihr Euch auch nach den Bedingungen im Studio, Bordell oder Puff erkundigen. Kritische Nachfragen, wenn Bordellbetreibende sich medial oder politisch als Wohltäter*innen inszenieren, sind auch gern gesehen.
Wenn eine Sexarbeiter*in mit Anzahlungen arbeitet, ist es höflich, das zu respektieren und zu befolgen, falls Du es einrichten kannst. Du als Kunde oder Kundin solltest Dir darüber im Klaren sein, dass viele Faktoren meine Arbeit erschweren und ich auf solche Absicherungen zurückgreife, weil Zuverlässigkeit leider nicht immer selbstverständlich ist.

Da ich nicht auf einer so ärgerlichen Note enden möchte:
Dankbare Shoutouts gehen an faire Betriebe wie das LUX Dominastudio und die frisch renovierte Passion Factory in Nürnberg raus. Ebenso danke ich Lady Angelina in München für Ihr Verständnis und Entgegenkommen, als in 2022 Termine wegen meiner Gesundheit entfallen mussten. Das war sehr kollegial.

Auf ein gutes Miteinander!